Nous devons à nouveau mettre l’accent sur les inégalités

7. Avr 2020 | contribution externe

Interview mit Aline Masé, Caritas Schweiz
Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.


Caritas engagiert sich stark in der Armutsbekämpfung in der Schweiz. Welche Probleme stellen sich aktuell und erfordern sofortige Aufmerksamkeit?

Dass der Bundesrat rasch ein umfangreiches Massnahmenpaket zur Abfederung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen beschlossen hat, ist sehr wichtig. Allerdings können zahlreiche Menschen nicht von der Unterstützung profitieren. So haben bspw. Personen, die nicht bei den Sozialversicherungen angemeldet sind, keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Das betrifft Putzfrauen in Privathaushalten, Tagesmütter, Aushilfen im Gastgewerbe und ganz besonders Sans-Papiers, die auch keine Sozialhilfe beantragen können. Die Kurzarbeit wurde zwar deutlich ausgeweitet. Arbeitnehmende auf Abruf haben dennoch in vielen Fällen kein Anrecht darauf, weil ihr Arbeitspensum stark schwankt. Das trifft insbesondere auf Tieflohnbranchen wie die Reinigungsbranche, den Detailhandel oder die Gastronomie zu, in denen viele Arbeitnehmende mit Einsatzverträgen im Stundenlohn beschäftigt werden. Auch einige Selbständigerwerbende können keine Taggeldentschädigung beanspruchen; sie mussten ihren Betrieb oder ihre Arbeit nicht offiziell einstellen, aber Kundschaft und Aufträge bleiben weg. Das sind viele Kleingewerbler mit wenig Reserven wie Taxifahrer, aber auch Freischaffende in Kreativberufen wie Fotografinnen. Viele müssen nun Sozialhilfe beantragen. Und je nach Aufenthaltsstatus hat der Bezug von Sozialhilfe massive Konsequenzen.

Kurzfristig muss der Bundesrat also die bestehenden Lücken bei den Unterstützungsleistungen schliessen. Viel mehr Sorgen bereiten uns aber die strukturellen Probleme, die bereits vor der Corona-Krise bestanden haben, sich aber noch verstärken könnten.

Was meinst du mit strukturellen Problemen?

Die Krise zeigt zum Beispiel: Es gibt viele Familien, die offiziell nicht als armutsbetroffen gelten, aber keinerlei finanziellen Spielraum haben. Das betrifft insbesondere Familien und Alleinerziehende mit kleinen Kindern und ist strukturell bedingt. Familie und Erwerbsarbeit zu verbinden, ist hierzulande nach wie vor sehr schwierig, gerade für jene, die in Tieflohnsektoren und atypischen Arbeitsverhältnissen arbeiten. Familien, deren Lohn bereits unter normalen Umständen kaum reicht, um ihre Existenz zu sichern, trifft die Corona-Krise hart. Wer Kurzarbeitsentschädigung erhält, kann für den Moment etwas aufatmen. Die Entschädigung entspricht allerdings lediglich 80% des durchschnittlichen Einkommens. Für Familien mit Kleineinkommen sind bereits ein paar Franken weniger Lohn existenzbedrohend. Gerade die Gesundheitskosten belasten die Haushalte stark. Wir beobachten, dass viele Familien auch dringend notwendige medizinische Behandlungen hinauszögern, weil sie die Rechnung nicht bezahlen können. Der Zugang zum Gesundheitswesen ist in der Schweiz nicht für alle gewährleistet. Caritas hat Bundesrat Alain Berset deshalb aufgefordert, die Arztkosten im Zusammenhang mit Corona-Behandlungen für armutsbetroffene Familien von der Franchise auszunehmen.

Welche weiteren Forderungen stellt Caritas in dieser Situation?

Sobald die Ausbreitung des Coronavirus erfolgreich eingedämmt werden konnte und die Schweiz langsam in den Normalbetrieb zurückkehrt, müssen die strukturellen Ursachen für Armut endlich angepackt werden! Insbesondere gilt es, die Existenzsicherung, die soziale Teilhabe und den Zugang zum Gesundheitssystem für alle Menschen in der Schweiz zu garantieren, kontinuierliche Bildungsmöglichkeiten für alle zu schaffen sowie die Vereinbarung von Beruf und Familie zu verbessern.

Dass mehr als eine Million Menschen in der Schweiz Mühe haben, ihre Existenz zu sichern, aber statistisch nicht als armutsbetroffen gelten, zeigt auch: Die Armutsgrenze ist politisch festgelegt und bis zu einem gewissen Grad willkürlich. Armutsbekämpfung darf sich nicht ausschliesslich an dieser finanziellen Grenze orientieren. Wir müssen auch Ungleichheit wieder stärker in den Fokus rücken.

Das Interview wurde von Eva Schmassmann geführt.

Weitere Informationen finden Sie auf der Seite von Caritas Schweiz: www.caritas.ch/corona

Aline Masé

Leiterin Fachstelle Sozialpolitik, Caritas Schweiz

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